Er war fruchtig, rassig und gut bekömmlich. Die Rede ist hier wie könnte es anders sein vom Jahrgang 1951. Nein nicht von uns, den Menschen, sondern dem Wein. Aber, gilt die
Charakteristik des Weines von 1951 vielleicht nicht doch auch für uns Jahrgänger aus dem Jahre 1951? Wir glauben schon, aber ein endgültiges Urteil müssen wir anderen überlassen.
Was hat sich mit uns Jahrgängern, mit Spaichingen und mit der ganzen Welt zugetragen in den leider zu schnell vergangenen letzten 50 Jahren.
Geboren wurden wir in einer Zeit des Aufbruchs und des Aufbaus, einer Zeit, die aus einem kleinen, beschaulichen Städtchen eine geschäftige, moderne Stadt gemacht hat. Einer
Zeit als Hofen noch Hofen und Spaichingen noch Spaichingen war. Einer Zeit, die bestimmt war durch den Gegensatz katholisch und evangelisch.
In unserem Geburtsjahr 1951 benutzten noch fast 40 000 Menschen die zwischenzeitlich längst stillgelegte und abgebaute
Heubergbahn. Noch 25 hauptberufliche Landwirte waren in unserer ländlich, fast bäuerlich orientierten Gemeinde tätig. Der soziale
Fortschritt begann auch in Spaichingen Einzug zu halten. In diesem Jahr wurde nämlich das Altersheim eingeweiht.
Fortschritte gab es auch in den Beziehungen zwischen Deutschland und den Siegermächten des 2.Weltkrieges. Diese erklärten 6
Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen den Kriegszustand mit Deutschland offiziell für beendet. Allerdings kam es bis zum heutigen Tag nicht zu einem Friedensvertrag.
Im Alter von drei oder vier Jahren, also 1954 oder 1955 war der erste kleinere Einschnitt in unserem Leben zu verzeichnen. Nicht nur
der enge Familienkreis und die nächste Nachbarschaft war von nun an für uns bedeutsam, sondern gleichaltrige Kinder, die wir im Kindergarten kennengelernt haben. Natürlich streng getrennt nach katholisch und evangelisch.
Mit der harten Realität mußten in diesen Jahren nicht nur wir Kinder uns auseinandersetzten. Die harte, grausame Wirklichkeit bekamen auch die Menschen in der ehemaligen
Ostzone am 17. Juni 1953 zu spüren, als ihr Aufstand, ihr Protest gegen ständig gesteigerte Leistungsanforderungen gewaltsam niedergeschlagen wurde.
1957 signalisierte ein einfacher Piepton den Beginn eines neuen Zeitalters. Dieser einfache, unscheinbare Piepser kam
aus dem Weltraum, von Sputnik 1, dem ersten von Menschenhand geschaffenen Satelliten. Damit war der schier unglaubliche technische Fortschritt der letzten Jahre für alle deutlich sichtbar geworden. Fortschritte gibt es auch aus
Spaichingen zu vermelden. In dieser Zeit wurde die Kläranlage in Betrieb genommen. Dies war dringend nötig, denn die Prim glich unterhalb des Gaswerks einer zähflüssigen, übelriechenden Teerstraße.
Auch für uns 51er brachte diese Zeit einschneidende Veränderungen mit sich. Nicht etwa, weil die Prim geklärt wurde,
(dies nützte uns recht wenig, war doch unser Hauptaufenthaltsgebiet zu jener Zeit weit oberhalb der Kläranlage, hinter
der Dreschscheune, also im noch nicht geklärten Bereich), sondern weil diese Zeit für uns mit der Einschulung verbunden war. Der größte Teil des Jahrgangs mußte 1958 nach dem Weißen Sonntag erstmals die Schulbank drücken.
Im Laufe der Jahre lernten wir viele verschiedene Lehrer kennen und durften nach rund anderthalb Jahren Schulzeit in die
gerade fertiggestellte Schillerschule umziehen. Am besten in Erinnerung bleiben wohl die Lehrer der ersten Jahre,
nämlich Schmid, Smolka und Beck. Bei letzterem kamen wir sofern bis jetzt noch nicht geschehen in engeren Kontakt
zur Spaichinger Fußballwelt. Dies geschah zum einen dadurch, daß er im Sportunterricht häufig Fußball spielen ließ,
zum anderen dadurch, daß seine Unterrichtsmethode vor allem montags geprägt war von den sonntäglichen Leistungen des SVS, besonders von denen des damaligen Torwartes. Gefürchtet war an Tagen nach SVS-Niederlagen das von Rektor Beck so genannte "Rechnen mit
Musik".
Für die katholischen Kinder und nur diese besuchten die damals konfessionell orientierte Schillerschule mühte sich Dekan Wieland im Religionsunterricht der Klasse drei um die Vorbereitung auf
die erste Beichte. Noch gut in Erinnerung sind seine Versuche uns die Grundsätze des 6. Gebotes nahezubringen. Er sprach davon, daß man seinen Bauch niemandem zeigen dürfe. In kindlicher
Unschuld erschrocken fragte sich gar mancher von uns, ob er denn wohl nicht mehr ins Schwimmbad gehen dürfe, denn unsere Freizeit an heißen Sommertagen verbrachten wir in jenen Jahren im "Grottenloch".
Bademeister Isidor wachte mit Argusaugen darüber, daß die Jungen nicht ins Mädchenbad gingen. Das trübe, undurchsichtige, braungrün schimmernde Wasser reizte immer wieder dazu, möglichst ungesehen
in verbotene Gefilde zu tauchen. Dies nicht etwa, weil das andere Geschlecht zu jener Zeit schon besonders interessant gewesen wäre, sondern einfach, weil es verboten war sich in "fremde" Gewässer zu begeben.
Im Winter, der damals noch sehr schneereich war, (die gute alte Zeit !!) vergnügte man sich an der Bleiche beim Skifahren. Zu jener Zeit wußten wohl noch wenige von uns, was ein Schlepplift ist.
1962 stand die Menschheit knapp vor einem dritten Weltkrieg. Der erst im Jahr zuvor gewählte amerikanische Präsident Kennedy zwang mit einer Seeblockade die Sowjetunion
von der Stationierung weitreichender Raketen auf Kuba abzusehen. Einige von uns haben zu jener Zeit am Verhalten der Erwachsenen gespürt, daß sich etwas Ernstes,
Bedrohliches abspielt, ohne natürlich genau zu begreifen, in welch kritischer Lage sich die Menschheit befand. Ähnlich war es im Jahr davor, als in Berlin die Mauer gebaut wurde.
Weitreichende, bis in unsere heutigen Tage hineinreichenden Entscheidungen wurden damals getroffen.
Auch wir, bzw. unsere Eltern standen vor wichtigen Entscheidungen. In welche Schule sollten wir nach Abschluß der Klasse 4 gehen? Zur Wahl stand die Volksschule, die
Mittelschule oder das Progymnasium. Wie auch immer die Entscheidung ausfiel, für uns bedeutete sie das Ende einer guten, erlebnisreichen Klassengemeinschaft und langfristig
die allmähliche Auflösung alter Freundschaften und damit eine Auseinanderdriften der bisher etwa jahrgangsmäßig orientierten Umgebung.
Damals schien die Zeit recht langsam zu vergehen, denn sehnsüchtig wartete man darauf, im Kino Filme anschauen zu können, die erst ab 16 Jahren freigegeben waren. Wir
sehnten uns danach, so alt zu sein, gleichzeitig erschienen uns die Sechzehn bis Zwanzigjährigen als uralte Greise. In diese Zeit fällt für viele von uns das erste Schwärmen für
das andere Geschlecht, das erste Verliebtsein und damit natürlich die ersten schlimmen Enttäuschungen.
Die Klasse neun war zur damaligen Zeit in Spaichingen noch nicht obligatorisch. Die Volksschüler mußten also in der achten Klasse über ihren weiteren Lebensweg und damit vor
allem über den künftigen Beruf entscheiden. Schon wieder hieß es, neue Beziehungen und Bekanntschaften aufzubauen. Aber für diejenigen, die nun eine Berufsausbildung
machten, bedeutete dies auch, endlich über eigenes Geld zu verfügen. Dieses erste selbst verdiente Geld wurde von den meisten für Führerschein und Moped verwendet, neidisch
beobachtet von jenen, die noch die Schulbank zu drücken hatten. Spaichingen war zwischenzeitlich zu einer respektablen Stadt mit etwa 8000 Einwohnern herangewachsen, einer
Stadt, die es sich leisten konnte, 1967 von ihrem Schlackensportplatz beim Gaswerk Abschied zu nehmen. Eingeweiht und in Betrieb genommen wurde das neue Unterbachstadion.
Auf die Jungen sie selbst bezeichneten sich als Männer kam allmählich der Wehrdienst zu. Für viele einerseits keine erfreuliche Aussicht, bedeutete der Wehrdienst doch die
zumindest zeitweise Trennung von der Freundin oder gar der Verlobten. Zudem war vielen 1967 durch den Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten klargeworden, was
Wehrdienst, was das Soldatsein im schlimmsten Fall auch bedeuten könnte. Andererseits bot der "Barras" für viele die Möglichkeit, sich wirklich von den Eltern zu lösen, eigene
Wege zu gehen, ohne die ständige, als gängelnd empfundene Aufsicht durch die Eltern. Eigene Wege wollten wir gehen, frei und unabhängig sein, nicht gebunden und irgendwie
oder zu irgend etwas verpflichtet. Gleichzeitig suchten wir den engen Schulterschluß zu Gleichaltrigen.
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Konsequenterweise fielen in diese Zeit die ersten Bemühungen, in Spaichingen einen Jahrgang 1951 auf die Beine zu stellen. Dies sicher nicht nur, weil Jahrgangsfeste und
Zusammenkünfte in Spaichingen eine gute Tradition haben, sondern auch, weil tatsächlich bei vielen das Bedürfnis wuchs, mit ehemaligen Mitschülern und Spielgefährten in
Verbindung zu bleiben oder erneut in Verbindung zu treten.
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Für die Jahrgänger des zwischenzeitlich zu einem Gymnsasium erweiterten Progymnasiums stand zu dieser Zeit die Entscheidung über den zukünftigen Studienort und die
Studienrichtung an. Nicht leicht war diese Wahl unter dem Eindruck des Attentats auf den Studenten Rudi Dutschke (1968) und der Wissenschaftsbegeisterung nach der
geglückten Mondlandung der Amerikaner im Jahre 1969, sowie der um diese Zeit (1970) einsetzenden Terrorwelle der sogenannten Rote Armee Fraktion. 1973, gerade stolze
Besitzer des Führerscheines und vielleicht sogar eines Autos überraschte uns, wieder wegen eines Krieges im Nahen Osten die Ölkrise. Von unserem noch sehr bescheidenen
Verdienst oder Taschengeld mußten wir uns das Geld für die enorm gestiegenen Benzinpreise für die sonntäglichen Spritztouren zusammensparen.
Terror auf der weltpolitischen Bühne, das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 in München, gleichzeitig der Friedensnobelpreis für den damaligen Bundeskanzler Brandt
zeigen symbolisch die Vielfalt und Zerrissenheit der Welt, in der wir als rund Zwanzigjährige unseren Weg zu finden hatten. Die ersten von uns Jahrgängern wurden in dieser Zeit
Mütter oder Väter und übernahmen damit eine riesige Verantwortung.
In großer Verantwortung stehen wir heute als Fünfzigjährige alle. Sei es für unsere Kinder die zum großen Teil bereits selbst erwachsen sind oder für unsere Umwelt und nicht
zuletzt für uns selbst. Verantwortung für uns selbst bedeutet auch, unsere Beziehungen zu den Mitmenschen, mit denen wir ein Stück gemeinsam unseren Lebensweg gingen,
nicht abbrechen zu lassen. Möge unser diesjährige "Fünfzigerfest! uns helfen, alte Verbindungen noch weiter zu vertiefen und neue anzubahnen.
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